Kate Diehn-Bitt (1900 Berlin – 1978 Rostock) Selbstbildnis als Halbakt. Öl auf Holz. Um 1935. 1290 x 765 mm. Verso weiteres Ölgemälde.
Auf der Halbinsel der Künstler
Von Gerald Felber FAZ vom 02.08.2024Horizonterweiterung zwischen Meer und Haff: Das Seebad Ahrenshoop in
Mecklenburg-Vorpommern blickt auf eine lange Tradition als Zuflucht für
Kreative zurück. Davon lebt auch seine Kunstauktion.
Bewegte, dem Westwind ausgesetzte Wasser vorne, Stille an der
Rückseite: In seiner Lage zwischen Meer und Haff gleicht Ahrenshoop
dem ostpreußischen Nidden. An beiden Orten entstanden gegen Ende
des 19. Jahrhunderts fern des urbanen Getriebes Künstlerkolonien.
Doch was auf der Kurischen Nehrung nach 1945 den politischen
Wandlungen zum Opfer fiel, blieb in dem malerischen Dörfchen
Ahrenshoop hinter der Fischland-Düne, 1892 zuerst von dem Maler und
Zeichner Paul Müller-Kaempff „kolonisiert“, noch bis weit in die DDRJahre
hinein so lebendig, dass zur Jahrtausendwende ein eigenes
Ahrenshooper Künstlerlexikon mit rund 450 Eintragungen erscheinen
konnte.
Nicht alle Kunstschaffenden waren fest ansässig, auch viele „Zugvögel“
kamen zuverlässig immer wieder – bis heute, da sich der Schwerpunkt
von den direkten Atelier-Aktivitäten auf die Erbepflege der alten
Künstlerkolonie verlagert hat: Es gibt ein Museum und einem attraktiv
gestalteten Kunstpfad, der Reproduktionen von Bildern genau in jene
Sichtachsen stellt, in denen einst Maler ihre Staffeleien aufklappten. Vor
allem aber findet jährlich eine Kunstauktion statt, die jeweils am ersten
Samstag im August Hunderte Interessenten anzieht und so nachgefragt
wird, dass die Strandhalle als Veranstaltungsort regelmäßig überfüllt
ist. Ein Teil der Bieter muss dann, nur durch Monitor und Mikrofon
angenabelt, nach außen ausweichen.
Meist spielt das Wetter mit. „Aber ich habe auch schon einen
Wolkenbruch miterlebt, bei dem die Außenbieter klatschnass alle
Raumlücken füllten. Einer ließ sich – die Sitzgelegenheiten waren ja
quasi überbucht – schlicht zu Boden gleiten und hielt von da an im
Liegen mit“, erzählt der Auktionator Robert Dämmig. Er amtiert seit
2013 in Ahrenshoop und hat mit zwei Mitarbeiterinnen auch die
fünfzigste Veranstaltung am 3. August vorbereitet. Ende Dezember folgt
die etwas kleinere, seit einigen Jahren hinzugekommene Winterauktion.
Rund die Hälfe der Bieter sind Stammgäste, ist von Dämmig zu
erfahren, aber auch institutionelle Bieter seien durchaus erbeten.
Quantitativ gibt es eine strenge Limitierung des Angebots auf etwa 170
Objekte, die erst in Berlin und dann drei Wochen in Ahrenshoop
besichtigt werden können, was auch eine straffe Abwicklung der
Auktion bis Mitternacht wahrscheinlich macht.
Zweihundert Jahre Kunstgeschichte
Inhaltlich begrenzen zwei Jahreszahlen die diesjährige Offerte: 1834
kam Louis Douzette, der älteste vertretene Künstler zur Welt – ein Jahr,
bevor die erste deutsche Eisenbahn den Betrieb aufnahm; während
Wieland Payer, der jüngste, 1981 geboren wurde. Die Ahrenshooper
Auktionen gingen da schon in ihr zehntes Jahr. Begonnen hatten sie 1972
mit, so Dämmig, „auf der Wäscheleine aufgehängten“ Grafiken, die man
mit einigem Glück schon für fünf oder zehn DDR-Mark erwerben
konnte. In den turbulenten Nachwendejahren erschien mit Guenter
Roese ein Mann, der als langjähriger IBM-Manager nicht nur seine
Kunstliebe mit der zum kleinen Ostseeort verbinden, sondern zudem
noch die notwendigen Geschäfskenntnisse mitbringen konnte.
Inzwischen präsentieren die Auktionen längst nicht nur größere
Formate, sondern auch knapp 200 Jahre Kunstgeschichte – vorwiegend
Gemälde, daneben einige Grafiken und Plastiken. Wobei sich
gelegentlich Kreise eigener Art schließen: „Da haben vielleicht die
Großeltern noch in der DDR ein Bild erworben, dass nun über die Enkel
zu uns zurückkommt – und gern wiedergesehen wird“, erzählt Dämmig.
„Das sind ja nicht nur Sachwertetranfers, sondern Inhalte, Weltsichten,
die bei solchen Wechseln neu beleuchtet und vermittelt werden.“
Nach Norddeutschland und ins Baltikum
Im Zentrum bleiben Künstler, die mit Ahrenshoop verbunden sind; um
sie gruppieren sich Werke anderer norddeutscher oder baltischer
Künstlerkolonien, gelegentlich bis nach Mitteldeutschland. Louis
Douzette beispielsweise verbrachte die letzten dreißig Jahre seines
Lebens in der Kleinstadt Barth, landeinwärts in Sichtweite der Halbinsel
Fischland-Darß-Zingst. Von ihm kommen drei Ölgemälde mit
stimmungsvollen Abend- und Nachtmotiven zum Aufruf (Taxen ab 8000
Euro) sowie die großformatige Kohlezeichnung „Speicherstadt mit
Mühle“ auf sepiabraunem Papier (2800/4200): Neufindungen aus dem
mondverzauberten Geiste Ruisdael und der Dresdner Romantiker,
aufgelockert mit den technischen Mitteln der Schule von Barbizon.
In Douzettes Todesjahr 1924 wiederum machte sich mit Kate Diehn-Bitt
eine nach Rostock eingeheiratete Berlinerin ernsthaf ans Malen. Ein
tief melancholisches, bis zur Zeichenhafigkeit verkürztes Strandbild
Fischlands von 1936 (12.000/16.000) spiegelt neben zwei Selbstporträts
(ab 14.000) in der visuellen Sprache der Neuen Sachlichkeit ihre fragile
Situation während der NS-Zeit. Die Holztafel mit lebensgroßem Halbakt-
Selbstbildnis ist auf der Rückseite mit weiteren Aktmotiven bemalt: Die
Repressionen des Regimes gegen die Künstlerin machten das Material
knapp.
Die ungeschminkt illusionslose Arbeit der damals 35 Jahre alten
Künstlerin erreicht mit ihrer Taxe -von 28.000 bis 34.000 Euro preislich
das obere Ende der zum Verkauf stehenden Werke. Am anderen steht
eine reichhaltige Palette mittelstandsfähiger Angebote ab 300 Euro
bereit, vor allem im graRschen Bereich.
Nonkonformistisches und Staatstragendes
In der Angebotsklasse der Rostocker Malerin wiederum bewegen sich
die Arbeiten zweier Hauptexponenten der Leipziger Schule: Bernhard
Heisig und Wolfgang Mattheuer. Beide waren ebenfalls zeitweilige Gäste
auf Fischland. Neben persönlichen Bindungen und Freundschafen
dürfe dabei das Wirken des damaligen DDR-Kulturbundes eine Rolle
gespielt haben, der hier ein Schulungsheim mit relativ liberalen
Austauschmöglichkeiten hatte. Die beiden durch zwei Generationen
getrennten Dresdner Edmund Kesting und Max Uhlig stehen für eine
Vielzahl weiterer – auch – in der DDR tätiger Künstler, die den
Lockungen des Landes zwischen Meer und Bodden folgten. Die Sachsen
bündeln seine maritime Atmosphäre in abstrakt-expressionistische
Kompositionen; Kestings „Kleine Darßsinfonie“ (3.600/4.800) aus den
Fünfzigerjahren bringt einen der poetischsten, in seiner sanftglühendsamtigen
Leuchtkraft suggestiven Beiträge in die Auktion ein.