Künstler » Hans Kinder » Das Werk des Malers Hans Kinder (Text)


Hans Kinder – Dresdner Avantgarde in Ahrenshoop

Das Werk des Dresdners Hans Kinder (1900 – 1986) ist, auch knapp fünfunddreißig Jahre nach dem Tod des Künstlers, immer noch ein Geheimtipp unter Kennern und Eingeweihten. Die Entdeckung und Wahrnehmung, der teils ikonographischen Werke Kinders durch eine größere Öffentlichkeit, steht bis heute aus.

Die Ursachen dafür, könnte man in dem nur noch bruchstückhaft existierenden Oeuvre Hans Kinders suchen. Aber möglicherweise auch in den schriftlich überlieferten künstlerisch-wissenschaftlichen Theoremen des Künstlers, welche bis zum heutigen Tag, ordnungsgemäß in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden archiviert, ihrer endgültigen Entschlüsselung entgegenharren.

Jedoch legen sich Zeitschichten in schöner Regelmäßigkeit mehr und mehr über diese Quellen und erzeugen in ihrer langsam abnehmenden Transluzenz ein bizarres Leuchten und fernes Flimmern.

Der Mann als Spiegel seiner Zeit. 

Seine Weltabgewandtheit als bildender Künstler, zunehmend spürbar nach 1945 und nach seinen Versuchen in der 1. Sozialistischen Künstlerbrigade auf Schloss Rammenau,machten den Maler Hans Kinder für ein großes Publikum weitgehend unsichtbar. Zu Unrecht, wie wir heute wissen.

Die zwanziger und die erste Hälfte der dreißiger Jahre waren ein vielversprechender Beginn für den jungen Kinder. Mit der Machtübernahme der Nazis und dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges war aber auch dieser Anfang schlagartig dahin. Wir müssen eine erschöpfende Desillusionierung des gesellschaftspolitischen Interesses und Engagements bei Hans Kinder vermuten.Auch das ab 1949 im Gesellschaftssystem der DDR behauptet Sozialistische, vermochte seine Abkehr und seinen inneren Rückzug nicht aufzuhalten. 

Es entstand infolgedessen eine „l´art pour l´art“ Haltung Kinders, die er auch bis zu seinem Tod nicht mehr aufgab. Er verfolgte diese Haltung mit vehementer Schaffensdisziplin und nahm dafür sämtliche Konsequenzen in Kauf.  Trotz der stillen Verweigerung einer Teilnahme als Künstler am öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs – oder gerade deshalb – entstand ab den 1950er Jahren ein beeindruckendes Spätwerk.

Springen wir auf Anfang, in die zwanziger Jahre: Die kleine bemalte Holztafel „Im Malsaal“ (Kat S. 8) entstanden im Jahr 1926, bezeichnete Hans Kinder noch in den achtziger Jahren als eine  Art Schlüsselwerk in seinem Gesamtschaffen.

Hans Kinder

Hans Kinder, Im Malsaal, 1926, Öl auf Holz, 38 x 28 cm

Entstanden in der Dresdner Kunstakademie, zeigt es ein weibliches Aktmodell in Rückenansicht mit seitlich leicht geneigtem Kopf, ein weiteres Aktmodell während des Auskleidens betrachtend. Die Spannung dieser Situation zieht sich aus dem Vorläufigen des Vorgangs.Es ist der Moment vor dem Erstarren in einer Pose, den Hans Kinder hier sichtbar macht. Bewegung, Dynamik, Raumrelationen, Zeit. Das sind schon hier seine Themen.

Es war seine Meisterschülerzeit bei Max Feldbauer in Dresden.

Nur ein Jahr später, 1927, entsteht „Vor dem Fenster“ (Kat S. 3). Strenge, Simplizität, Farbigkeit, Spiel. Dieses Motiv hat Hans Kinder in kurzen Abständen mehrfach gemalt, und jedesmal den Abstraktionsregler mehr aufgedreht. Unverkennbar, der konstruktive Ansatz, aber auch der leidenschaftliche Dresdner Colorist.

Hans Kinder

Hans Kinder, Vor dem Fenster, 1927, Öl auf Hartfaserplatte, 51 x 36 cm

Parallel dazu im Vergleich das „Stillleben“ (Kat. S. 87) aus dem Anfang der 1920er Jahre, hier verbleibt er mehr oder weniger noch im Konventionellen, wählt aber eine ungewöhnliche Perspektive.

Wenige Jahre zuvor: Weimar, Bauhaus 1924. Hans Kinders Jahr dort war maßgebend für sein weiteres Leben.Es war innerlich wie äußerlich, künstlerisch wie gesellschaftlich widerstreitend. Es entstanden in dieser Zeit für ihn mehr Fragen als Antworten.

Der Geist der zwanziger Jahre muss für Hans Kinder, liest man seinen letzten Tagebucheintrag richtig, intellektuell wie künstlerisch Herausforderung bis zu seinem Lebensende gewesen sein.

Nicht nur die tradierten Denkmodelle bildnerischen Schaffens kamen am Bauhaus in Turbulenzen. Gleichzeitig begann auch die öffentliche gesellschaftliche Akzeptanz für diese Art geistiger, handwerklicher, künstlerischer Avantgarde in Deutschland zu schwinden. 1933 war dann auch Schluss.

Die Meisterklasse bei Max Feldbauer in Kinders Zeit nach Weimar war für ihn kein Schritt zurück. Sie kam Kinder in seiner Konzentration auf die Figur, den Gegenstand, die Farbe entgegen.

Anfang der dreißiger Jahre dann der Eintritt in die Dresdner Sezession mit Kollegen wie  Edmund Kesting, Hans Christoph, Hermann Glöckner, Otto Griebel.  Auch hier: Einflüsse, Gespräche, Inspirationen, Fragen.

Das in dieser Zeit entstandene Porträt „Junges Mädchen“ (Kat. S. 5) , Anfang der dreißiger Jahre, ist selbstbewusst, ernst, sinnlich, reflektiv und gibt uns eine Ahnung an die Hand, wie der dreißigjährige Kinder seine ihn umgebende Realität in dieser bewegten Zeit seismographisch und brillant ins Bild zu setzen vermochte. 

Hans Kinder

Hans Kinder, Junges Mädchen, 1930er Jahre, Öl auf Karton, 41 x 26 cm

Die Begegnung mit Picasso in dem von Deutschen besetzten Paris hinterließ bei Hans Kinder einen bleibenden Eindruck.

Mehr Zeichnerisches findet den Weg in seine Malerei, Malerisches mehr den Weg in seine Zeichnungen.

Ist Kinder in seinem Bauhausjahr noch einer figurativen Ganzheitlichkeit gefolgt, so beginnt er nun vehement diesen Ansatz wieder und wieder zu hinterfragen. Aber die Figur verschwindet nie aus seinen Bildern, sie erfährt jetzt unterschiedliche Grade der Abstraktion, bleibt aber immer Bestandteil und Ausgangspunkt..

So beispielhaft im „Akt II“ 1967 (Kat. S. 30) und dem gegenübergestellten „Optische Statistik I“ 1983/84 (Kat. S. 31) deutlich zu sehen.

Hans Kinder

Hans Kinder, Optische Statistik I, 1983/84, Mischtechnik auf Papier, 75 x 54 cm

Hans Kinder untersucht die Statik, die Expression eines Körpers, eines Gesichtes, eines Raumes, einer Landschaft mit bildnerischen Mitteln.

Der Pantomime Marcel Marceau inspiriert Hans Kinder zu einem umfangreichen Zyklus. 

In einem permanenten Produktionsprozeß entstehen neben komplex-reduktiven Form- und Farbsystemen, z.Bsp. „Fischer“, 1966 (Kat. S. 10/11), auch simultane Stimmungsbilder, z.Bsp. „Fischerdorf“ (Hiddensee), 1950er Jahre, (Kat. S. 32/33) sowie rhythmische Blätter in schwarzer Tusche, z.Bsp. „Sitzender Akt“, 1965 (Kat. S. 38), figurative Studien, z.Bsp. „Farbiger Akt“, 1950er Jahre (Kat. S. 48), abstrakte Porträts, z.Bsp. „Frau in Blau“, 1975 (Kat. S. 58/59) und einige wenige Druckgrafiken, z.Bsp. „Fischerboot“, 1960, Aquatinta (Kat. S. 66).

Hans Kinder

Hans Kinder, Fischerdorf (Hiddensee), 1950er Jahre, Mischtechnik auf Papier, 50 x 76 cm

Dresdner Einzelgänger. Künstler wie Glöckner, Christoph und eben Kinder bleiben trotz unüberwindbarer gesellschaftlicher und politischer Mauern in einer stoischen Konzentration. Und verfallen nicht in stockende Selbstreflexion, sondern öffnen neue Räume. Allerdings zur damaligen Zeit weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Hans Kinder fand in Ahrenshoop wesentliche und erneuernde Impulse für seine Arbeit. Zum einen in der offenen und sich fast täglich verändernden Küstenlandschaft, sein Atelier befand sich in unmittelbarer Wassernähe, zum anderen aber auch über einen kleinen intensiven Freundeskreis aus Künstlern, Wissenschaftlern und Ärzten.

Das  Werk Hans Kinders birgt eine unkorrumpierte, jugendliche Experimentierfreude, die wiederum einer aus Lebenserfahrung erwachsenen Stringenz zu folgen scheint. Der Motor seines Schaffens waren die ungelösten, die unlösbaren Fragen.

Früh hat Hans Kinder die prozesshaften und zyklischen Elemente in der Kunst verstanden und in seiner Arbeit mit aller Entschiedenheit zugelassen. Betrachtet man die Arbeiten der letzten Lebensjahre, wie z.Bsp. „Geometrische Formen Violett/Rosa/Orange“ (Kat. S. 41) aus dem Jahr 1984, so löst Kinder hier den Bildraum sphärisch-reduktiv auf, gibt Neuem Raum und impliziert das eigene Verschwinden. 

Hans Kinder

Hans Kinder, Geometrische Formen Violett/Rosa/Orange, 30.07.1984, Mischtechnik auf Papier, 75 x 53,7 cm

Die Fähigkeit des Künstlers, die eigene Person hinter das Werk zu stellen, ermöglicht uns einen unverstellten Zugang zu seiner Kunst. 

Seine permanent fragende Position, gerade in den Arbeiten der siebziger und achtziger Jahre, bietet für uns Heutige ein verblüffend unverbrauchtes Identifikationspotential.

Manchen mag, angesichts kongenial gesetzter Struktur und Farbigkeit in Werken Kinders, die farb- und formtheoretische Lehre des Sachsen etwas ratlos und verwirrt zurücklassen. 

Es ist allemal interessant, sich mit Kinders Theorien zu befassen, aber keineswegs  Voraussetzung für die erfolgreiche Rezeption seines Werkes.

Robert Dämmig, März 2020