Ahrenshooper Winterauktion
Von einem Mann mit eigener Stimme
Als Künstler fiel der Dresdner Wilhelm Lachnit in der DDR in Ungnade. Ein Bild von ihm, das bald in Ahrenshoop versteigert wird, ruft das Schicksal des Malers in Erinnerung.
Von CAMILLA BLECHEN
Aus sächsischem Privatbesitz eingeliefert, soll Wilhelm Lachnits kleinformatiges Gemälde „Kinderchor“ am 30. Dezember bei der Ahrenshooper Winterauktion 2200 bis 2800 Euro einspielen. Das undatierte Zeugnis schulischer Musikerziehung – vielleicht ein Auftragswerk – entstand mutmaßlich Anfang der Fünfzigerjahre, nachdem Lachnits im Dezember 1945 erstmals öffentlich präsentierter „Tod von Dresden“ heftige Diskussionen ausgelöst hatte.
Der 1899 geborene Künstler, der einen Großteil seines Frühwerks im Dresdner Feuersturm des 13. Februars 1945 verloren hatte, besetzte in diesem Bild die Trümmerstätte vor der brennenden Stadt mit einer weinenden Frau in Gesellschaft des ebenfalls Tränen vergießenden Todes als Knochenmann. Seinen festen Platz in der Gemäldegalerie Neue Meister, dem Albertinum, fand Lachnits bekanntestes Werk erst 1957. In der Zwischenzeit traf den zunächst in der jungen DDR als früheres Mitglied der 1929 gegründeten Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands umworbenen Maler der vernichtende Vorwurf des „Formalismus“; 1953 verlor er sein 1947 angetretenes Lehramt für Wandmalerei.
© Ahrenshooper Kunstauktionen Wilhelm Lachnit, „Kinderchor“, 1950/55, Mischtechnik auf Holz, 36,2 mal 56 Zentimeter,
Taxe 2200 bis 2800 Euro
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden Sorgte für Kontroversen: Wilhelm Lachnits „Der Tod von Dresden“, 1945, Öl auf Leinwand,
200,5 mal 113,5 Zentimeter
Von Lachnits malerischer Gestaltungskraft und Empfindungstiefe zeugen zwei museal bewahrte Porträts: in Dresden der jugendliche Geniestreich eines „Mädchens im Pelz“, in Berlin der Botticellis „Primavera“ verpflichtete „Traurige Frühling“. Beide wurden des Öfteren als Leihgaben für Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit angefordert. Lachnit, der 1962 depressiv und herzkrank in Dresden starb, war der sensible Kollege der robusteren Klassenkämpfer Otto Dix, Hans Grundig und Otto Griebel. Wie er nach dem „Formalismus“-Verdikt parteihöriger Kulturfunktionäre noch einmal zu farblich bezaubernden, figürlichen Metaphern fand, fand bisher noch keine angemessene Würdigung. Als Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts besaß Werner Schmidt jedoch schon in den Siebzigerjahren ein Auge für die besonderen Qualitäten der abseits von Staffeleibildern entstandenen Lithographien, Radierungen und Holzschnitte des an den Rand Gedrängten.
Quelle: F.A.Z.
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