Wasja Götze vom 25. Mai bis 23. Juni 2019 in der Galerie Alte Schule Ahrenshoop


Der Maler Wasja Götze als ostdeutscher Pionier der Pop Art

Es sollte nach dem Ende der DDR noch etliche Jahre brauchen, bis der Maler Wasja Götze endlich in den Blickpunkt des Kunstbetriebes geriet. Während die Münchner Pinakothek der Moderne zumindest eines der Schlüsselbilder Götzes bereits kurz nach der Friedlichen Revolution im Jahre 1989 ankaufte, ignorierte das städtische Kunstmuseum in Halle (Saale) lange Zeit den maßstabsetzenden Künstler völlig. Erst als 2016, nach einem Direktorenwechsel, eine überfällige Ausstellung zu einer furiosen Entdeckung des nonkonformen Malers werden sollte, kann sich der Künstler auch in seiner Heimatstadt als angekommen fühlen – so ist er in der neu eingerichteten Bestandspräsentation des Kunstmuseums Moritzburg in Halle nun genauso präsent wie in den großen Themenausstellungen zur ostdeutschen Kunst.

 Wasja Götze, Jahrgang 1941, geboren im sächsischen Altmügeln und seit 1962 in Halle ansässig, sieht sich auf Grund dieser Geschichte als ein „malender Eremit“. Dabei begann die Rückweisung bereits kurz nach seinem Studium der Gebrauchsgrafik von 1962 bis 1968 an der Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle, wie die legendäre „Burg Giebichenstein“ seinerzeit hieß, wo er Unterricht bei Lothar Zitzmann, Friedrich Engemann und Walter Funkat hatte. Wegen einer inoffiziellen „Hofausstellung“ im Innenhof seines Wohnhauses wurde Wasja Götze im Mai 1969 in Halle zur Persona non grata erklärt. Der Maler Götze experimentierte damals nach einer kubistisch geprägten Werkphase bereits mit Stilmitteln der Pop Art, auf deren Herausforderung kaum einer in der DDR ernsthaft reagierte. Neben den Motivmustern der europäischen Pop art waren seine Bilder aber ebenso von „skurril-verschrobenen zeichenhaften Signalen emaillierter Blechtafeln der ersten Hälfte des Jahrhunderts“ inspiriert. Für die Staatssicherheit, welche mit Hilfe des angereisten Bezirksstaatsanwalts die Hofausstellung 1969 nach drei Tagen verbot, waren diese für sie absonderlich wirkenden Kunstäußerungen zweifelsfrei der Beweis, dass Götze ein Anhänger der „1968er“ war.
Mit dieser Einschätzung war der künstlerische Weg Wasja Götzes fortan rigoros verstellt. Nach dem Ausstellungsverbot erhielt der 28jährige auch ein „Burgverbot“ ausgesprochen. Es hing, versehen mit dem Dienstsiegel des Rektors, am Schwarzen Brett der Hochschule – so wie der Steckbrief eines Kriminellen. Wasja Götze von der Burg zu trennen war aber freilich schlichtweg unmöglich. Schon weil er die unangepassten Energien dieser einstmals so freisinnigen Einrichtung geradezu symbolisierte. Aber er vollzog in diesen Jahren den Schritt ins Ungewisse und arbeitete fortan als Bühnenbildner in Berlin. Vor allem die Bekanntschaft mit dem Bühnenbildner und Maler Achim Freyer, dessen „kluge Gelassenheit“ ihn faszinierte, trug spätere Früchte. Freyer war der erste Künstler von Rang, der sich dem jungen Künstler mit Respekt und forderndem Zuspruch zuwandte.

Die Arbeit an den Berliner Theatern verhalf Wasja Götze zu einer Kontrasterfahrung, die sein späteres Leben entscheidend beeinflussen sollte. Im Jahre 1973 zeugt sein Bild „Abschied von H. oder Es kann nicht immer Liebe sein“ bereits von den in Berlin empfangenen Impulsen. Wasja Götze zu diesem Schlüsselbild: „Es war die Zeit wo ich mir ganz programmatisch sagte: Jetzt wird ernsthaft gemalt!“

Wasja Götze

Laut und farbig“ statt still und grautönig musste fortan seine Malerei sein. Die spezifische Adaption der Pop art durch Wasja Götze ersetzte die Produktwelt westlichen Konsums, die er selbst nur aus der Distanz einer Second hand-Sphäre wahrnahm, durch die Motive kommunistischer Propaganda. Der „neue Realismus“ nonkonformer Maler wie Wasja Götze unterschied sich vom staatsoffiziellen Realismusmodell vor allem dadurch, dass er die Diskurse einer Gegenmoral in die künstlerische Produktion einschloss, anstatt sie aus einem purifizierten Bereich ästhetischer Selbstbestimmung zu verweisen.

 Der zentrale Ort seines Lebens blieb aber Halle, die in den 1980er Jahren geschundene Stadt, dem Verfall leichtfertig preisgegeben. Hier gab es bis zuletzt obskure Ausstellungsverbote und vorzeitige Schließungen seiner raren Expositionen. Selbst als sich der kulturpolitische Wind für seine Kunst in günstigere Richtung drehte, blieben Ausstellungen in seiner Heimatstadt für ihn tabu – stattdessen konnte man seine farbintensiven Werke, die in den späten 1970er Jahren zu kaum verschlüsselten Sinnbildern individueller Bedrängnis werden, ab und an außerhalb des Bezirkes Halle sehen.
 Wasja Götze hat die Essenz jener DDR-Jahre in einem Statement für die Ausstellung „Gegenstimmen“ (2016) im Berliner Martin-Gropius-Bau folgendermaßen beschrieben: „Ich drängte nicht laut und fordernd in die Öffentlichkeit wie einige andere DDR-Künstler, weil ich zu folgender Erkenntnis gekommen war: In diesem Land ist meine Kunst prädestiniert, auf Missfallen, Nicht-Akzeptanz, Verachtung und Feindschaft zu stoßen. Meine Art zu leben sowie meine politisch-moralische Haltung werden hierzulande abgelehnt. Will ich meine Heimat nicht verlassen, will ich hierbleiben, wie ich bin, nämlich ICH, dann habe ich in dieser Diktatur den Preis zu zahlen: die Missachtung und das Negieren. Ich respektierte diesen Tatbestand und malte weiter.“
Diese singuläre kunsthistorische Stellung Wasja Götzes in Ostdeutschland zählten im bundesdeutschen Kunstbetrieb nach 1989 zunächst nicht viel – die Thematisierung von Mauer, Stacheldraht und „rotem Telefon“ („Das rote Telephon“, 1971) reichte im engen Blickfeld allenfalls für die Zulassung zur Illustration zeithistorischer Phasenverläufe. So kann man in den Beständen der zeitgeschichtlichen Museen heute Bilder finden, im Bestand des Hauses der Geschichte Bonn/Leipzig auch das Gemälde „Stillleben mit ungebetenem Gast“ 1978 von Wasja Götze, die natürlich in das Programm der großen Kunstmuseen gehörten. Künstler wie Wasja Götze mochten aber auch nach 1989, in einem nun schon fortgeschrittenen Alter (Wasja Götze erlebte den Beitritt 1990 im Alter von 49 Jahren), kein positives Verhältnis mehr zu den Vermarktungsnotwendigkeiten eines bildenden Künstlers gewinnen – so wie das seinem Malersohn Moritz Götze mit umtriebig-virulenter Finesse gelang.
So blieb ein Maler vom Format eines Wasja Götze lange Zeit „unsichtbar“. Den schweren Jahre der Repression folgten die abenteuerlichen Jahre unter „Schwarz-Rot-Colt“ (1991/92) mit ihren irrwitzigen Zerrbildern beim Übergang eines Systems in sein scheinbares Gegenteil. Wasja Götze suchte und gewann seine innere Ruhe durch die Rückbesinnung auf Eigenkräfte – und sei es jene, die ihm durch handwerkliche Lohnarbeit als Fahrradmechaniker zur Unabhängigkeit verhelfen sollten. Dabei waren die in der DDR erworbenen Techniken einer autonomen Selbstorganisation von Vorteil. So wie man früher die Uhren nach ihm stellte, wenn er abends in die „Gose“ oder den „Mohren“ zum abendlichen Absacker einrückte, so malte Wasja Götze einfach weiter in seinem kleinen Dachatelier.

Wer jene schwierig zu meisternde Balance schafft, sich ohne Echo weltwärts zu orientieren und es wagt, sich selbst aufs Neue stetig herauszufordern, auch wenn die Bilder erst seit einigen Jahren den Weg in die überregionale Kunstwelt finden, für den kann nun wirklich gelten, ein Maler mit eigenständigem Profil und moralischen Prinzipien zu sein. Für Wasja Götze, dem Maler, Grafiker und Objektkünstler, wurden diese beiden Kraftpole Grundlage für ein fulminantes Lebenswerk, das in seiner Güteklasse mit einigem Erstaunen noch entdeckt werden wird.

GESCHRIEBEN VON PAUL KAISER

1961 in Freiberg/Sachsen geboren, Kultur- und Kunstwissenschaftler, Kurator und Publizist. Seit 2017 Direktor des Dresdner Institutes für Kulturstudien. Zahlreiche Bücher zum Kunstsystem in der DDR, zuletzt Boheme in der DDR. Kunst und Gegenkultur im Staatssozialismus, Dresden 2016. Kurator und Co-Kurator von Ausstellungen zur ostdeutschen Kunst, u.a. „Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen“ Neues Museum Weimar, 2012/2013. Derzeit bereitet er die Ausstellung vor „Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst“, Museum der bildenden Künste Leipzig.

Quelle: stayinart